Am 11. März 2011 bebte vor der japanischen Küste um 14.47 Uhr die Erde. Mit der Stärke 9 war es das bislang stärkste Beben der japanischen Geschichte. Es löste eine gewaltige Flutwelle aus, die als Tsunami auf die Küste traf. (...)
In den Reaktoren kommt es zu einer Kernschmelze und zur Freisetzung1 größerer Mengen an Radioaktivität. Mehr als 10 000 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser fließen ins Meer. Es gerät 168-mal so viel Cäsium 137 in die Umwelt wie bei der Explosion der Hiroshima-Bombe 1945. Alle zwei Millionen Bewohner der Katastrophenprovinz werden langfristig Gesundheitschecks unterzogen2. Die Tsunamiwelle verwüstet große Teile von 260 Küstenstädten. Mehr als 15 800 Menschen sterben, mehr als 3700 werden vermisst. Die Schäden der Dreifachkatastrophe belaufen sich insgesamt auf etwa 160 Milliarden Euro.
Drei Jahre nach der Katastrophe von Fukushima leben 300 000 Japaner in elenden Notquartieren, permanenter Unsicherheit und mit wenig Aussicht auf eine Rückkehr.
Kurz vor dem dritten Jahrestag der Megakatastrophe mit Erdbeben, Tsunami und Reaktorunglück am 11. März 2011 kündigte Japans Regierung an, einen kleinen Teil des nuklearen Sperrgebiets um das havarierte4 Akw von Fukushima wieder zum Bewohnen freizugeben. Wenn das nicht nur Propaganda zum Gedenktag ist, könnte die Familie Watanabe Anfang April in das große Holzhaus mit Gärtchen, in dem die drei Generationen eigene Zimmer bewohnten, zurückkehren.(...)
Ausländische Ärzte beklagen schon länger, dass unbequeme Wahrheiten geheim gehalten werden, die japanische Regierung sogar die Untersuchung strahlenbedingter Erkrankungen unterbinde. Watanabe junior fragt sich, ob all diese Berichte nichts als Panikmache seien. Muss man Warnungen internationaler Experten ernst nehmen oder kann man den Beschwichtigungen5 der Behörden glauben?
Wie die Watanabes stehen 358 Einwohner von Tamura vor der Entscheidung: Rückkehr oder nicht. Mehr als die Hälfte traut dem Frieden nicht, will lieber in den Behelfsquartieren bleiben. (...)
Lange hatten die Tokioter Regierung und auch lokale Behörden die Betroffenen in dem Glauben gelassen, sie könnten eines nahen Tages zurückkehren. Wahrscheinlich eine große Lüge und ein böses Taktieren im endlosen Drama nach der Dreifachkatastrophe. Der definitive Satz: "Sie werden nie wieder zurückkehren", gilt im politischen Japan noch immer als tabu. Man nennt die evakuierten Gebiete stattdessen offiziell-schwammig6 "Zone, in der eine Rückkehr als schwierig erachtet wird".
"Die Strahlung geht einfach nicht zurück", resigniert Keiko Shioi aus Naraha. Eigentlich sollte die mit über 50 Millisievert pro Jahr am meisten verstrahlte Region rund 20 Kilometer vom Akw Fukushima Daiichi entfernt nur fünf Jahre unzugänglich sei. Jetzt müssen die mehr als 25 000 Menschen sich damit abfinden7, ihre Heimat nie wieder betreten zu können. Und mit jedem Tag wird in den Behelfsquartieren die Not zur Gewohnheit.(...)
Von der Regierung fühlen sich die Menschen im Nordosten Japans komplett im Stich gelassen. Und zunehmend auch betrogen. (...)
Fast jeder weiß, dass Fukushima mit drei geschmolzenen Reaktorkernen und ohne Schutzwall auch im Frühjahr 2014 noch ein einziges Desaster und weit entfernt von jeder Kontrolle ist. Dennoch setzt Abe wieder auf die Atomkraftnutzung (...). Als sei in Fukushima nichts passiert.
(...) Die Regierung Abe hat eine Zensur der Medien verfügt. Mit einem drakonischen Gesetz wird die Verbreitung von "Staatsgeheimnissen" mit hohen Gefängnisstrafen geahndet. Dazu gehören vor allem auch die brisanten Nuklearthemen. (...) Wie es wirklich in der Katastrophenregion Fukushima aussieht, soll nicht ans Tageslicht kommen.
Die Präfektur von Fukushima möchte ein neues Zentrum für die Erforschung erneuerbarer Energien werden, im April eröffnet das Fukushima Renewable Energy Institute. Mit dem Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) wird eng kooperiert, im Februar wurde ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet.
Der Artikel "Dreiste Lügen, kaum Hoffnung" von Angela Köhler ist am 7.03.2014 in der Badischen Zeitung erschienen. - Den vollständigen Artikel können Sie unter http://www.badische-zeitung.de/ausland-1/dreiste-luegen-kaum-hoffnung--81594530.html einsehen.
1 | Freisetzung (f) | emission |
2 | unterzogen (inf. unterziehen) | subir |
3 | dreist | fort |
4 | havarieren | tomber en panne |
5 | Beschwichtigung | apaisement |
6 | schwammig | flou |
7 | sich abfinden mit | s'acommoder de |
- Charakterisieren Sie den Kartenausschnitt und die Texte mit den Titeln „Fukushima", Dreiste Lügen, kaum Hoffnung", „Kooperation".
- Erläutern Sie, wie die Autorin der Badischen Zeitung die Situation in Fukushima darstellt (Situation der Bevölkerung, Mahnungen von ausländischen Ärzten, Reaktion der Japanischen Regierung).
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