Bericht über Stresstest: Kernkraftwerke sind nicht sicher genug - Die meiste Kritik an Frankreichs Anlagen
VON ULLRICH RIEDLER
BERLIN. Europas Atomkraftwerke (AKW) weisen schwere Mängel auf. Das ist das Ergebnis eines aktuellen Stresstests, den die EU-Kommission in Auftrag gegeben hat Nach dem Atomunfall von Tschernobyl 1986 hatten die EU-Staaten dringende Sicherheitsmaßnahmen vereinbart. Doch „auch Jahrzehnte später steht deren Umsetzung in einigen Mitgliedsländern noch immer aus". Dies berichtet die Zeitung Die Welt unter Berufung auf den Abschlussbericht des AKW-Stresstests, den Energie¬kommissar Gunther Oettinger morgen vorstellen will.
„Praktisch alle Anlagen" bedürften verbesserter Sicherheitsmaßnahmen, heißt es demnach in dem Bericht, der nach dem Atom-Unglück im japanischen Fukushima im Marz 2011 in Auftrag gegeben worden war. „Hunderte technische Verbesserungsmaßnahmen" hätten die Inspektoren als fehlend ausgemacht.
Bei den Sicherheitsstandards in den EU-Ländern herrschen große Unterschiede. Nur vier EU-Länder „betreiben zusätzliche Sicherheitssysteme, die unabhängig vom normalen System in einer Zone installiert sind, die gut gegen äußere Einflüsse gesichert ist (zum Beispiel in Bunkersystemen)".
Der Vergleich fällt vor allem für die französischen Anlagen schlecht aus. „Bei ihnen stellten die Experten die meisten Kritikpunkte fest", schreibt Die Welt. Bei deutschen AKW kritisiert Brüssel die auf den Anlagen selbst installierten Erdbebenwarnsysteme als unzureichend. Auch seien die von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) vorgeschriebenen Leitlinien nach schweren Unfällen nicht voll umgesetzt.
25 Mrd. Euro Kosten
Die EU-Kommission rechnet wegen der unzureichenden Sicherheitsausstattung mit hohen Nachrüstungskosten für die Betreiber und beziffert die erforderlichen Gesamtinvestitionen auf bis zu 25 Mrd. Euro in den kommenden Jahren.
Nach Angaben der Welt war Energiekommissar Oettinger bei den Vorbereitungen des Stresstests auf großen Widerstand insbesondere aus Frankreich und Großbritannien getroffen. Regierungen wie Betreiber hätten sich gegen den Zutritt externer Experten zu den streng geschützten Anlagen gewehrt.
Die im Stresstest belegten Mängel seien nur die Spitze eines Eisberges, sagte ein Sprecher der Umweltgruppe Greenpeace gestern der Frankfurter Rundschau. Die schweren Versäumnisse würden einmal mehr das beunruhigende Desinteresse der Nuklearindustrie an der Sicherheit belegen.
Stichwort - AKW in der EU
In der EU stehen in 14 Ländern Atomkraftwerke. Insgesamt zählt die Union 145 Nuklearanlagen. Vor allem Frankreich setzt stark auf Atomkraft, hat 58 Reaktoren in Betrieb, zwei weitere sind in Bau oder Planung. Einige Staaten wie Deutschland, Belgien und die Schweiz wollen aus der Atomenergie aussteigen, andere sind wiederum dabei, neue Reaktoren zu bauen oder planen es (Finnland, Polen, Großbritannien), (rie).
Der Artikel "Europas Atommeiler fallen durch" von Ulrich Riedler ist am 2.10.2012 in der Hessisch-Niedersächsischen Allgmeinen erschienen.