Claudia Kemfert
Im Prinzip ist die Sache unglaublich einfach: Drei Fakten reichen aus, um den Kern der Zusammenhänge zu verstehen.
Erstens: Fossile Ressourcen wie Öl, Gas und Kohle sind endlich1. Sie werden knapper, und irgendwann wird der weltweit steigende Energiebedarf durch sie nicht mehr zu decken sein. Große Länder wie Indien und China, in denen erst allmählich eine vollständige Industrialisierung stattfindet, werden ihren Energieverbrauch in den nächsten Jahrzehnten noch gewaltig steigern.
Zweitens: Das Verbrennen fossiler Ressourcen verursacht Treibhausgase, die das Klima gefährden. Doch auch die weltweit produzierten Treibhausgase steigen immer noch an.
Drittens: Erneuerbare Energien versprechen akzeptable Lösungen für beide Probleme. Sie sind unendlich (Sonne und Wind gibt es immer), und sie verursachen weitestgehend (mit Ausnahme von Biomasse) keine Treibhausgase.
Die Lösung scheint nach diesem Dreischritt klar: Wir sollten auf erneuerbare Energien setzen. Doch es gibt Einwände. Ist die Energiegewinnung aus neuen Quellen nicht viel zu teuer? Können wir uns das leisten? Und ist die Versorgung mit grünem Strom wirklich sicher? Stecken die Technologien alternativer Energiegewinnung nicht erst in den Kinderschuhen2?
Kurzfristig muss man sagen: Ja, die Versorgung mit erneuerbaren Energien kann nicht von heute auf morgen technisch umgesetzt werden. Es müssen Wind- und Solarparks, aber auch Netze zur Verteilung des Stroms gebaut werden. Es gilt4, Wege zu finden, wie man den Strom speichern3 kann, der an wind- und sonnenreichen Tagen zu viel und an anderen Tagen zu wenig produziert wird. Das alles, so weiß man nach rund 30 Jahren Forschung im Bereich erneuerbare Energien, ist machbar. Es wird jedoch noch einige Jahre dauern und kostet zunächst einmal Geld.
Insofern lautet auch die Antwort auf die Frage nach der Finanzierung vorerst: Ja, es stimmt. Das Umrüsten5 auf erneuerbare Energien kostet. Und dann stimmt es doch wieder nur zum Teil: Zwar ist die Entwicklung neuer Technologien anfangs immer teuer, doch handelt es sich bei diesen Kosten um Investitionen, die sich später wieder auszahlen.
Noch sind die alten Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke im Vorteil, denn sie haben eine Laufzeit von bis zu 60 Jahren und liefern so Strom zu vergleichsweise niedrigen Produktionskosten. Doch auch die Stromgewinnung aus erneuerbaren Quellen steht längst nicht mehr ganz am Anfang. Und Preise ändern sich schnell - die meisten Technikinnovationen gehen den Weg vom Luxusartikel zur Massenware. Ein Mercedes kostete zu Beginn des 20. Jahrhunderts 17000 Goldmark. Nach heutigen Maßstäben waren das 100 000 Euro - für ein Auto, das nicht viel mehr zu sein schien als ein Dreirad. Das erste Mobiltelefon war so groß wie ein Knochen, kostete aber umgerechnet bis zu 1600 Euro. Damals galt es noch als spektakulär, dass man drahtlos6, wo man ging und stand, telefonieren konnte.
Das war 1992. Heute nutzen wir Smartphones für E-Mails, Kochrezepte, Urlaubsfotos und als Wörterbuch - zu einem Drittel des Preises oder weniger. Und während die Preise neuer Technologien stürzen, werden die Produkte ständig besser. Niemand hätte sich vor 20 Jahren vorstellen können, was heute technisch möglich ist.
Quelle: Kemfert, Claudia: Kampf um Strom : Mythen, Macht und Monopole. - 7. Aufl. - Hamburg : Murmann, 2013. - ISBN: 978-3-86774-257-3. - S. 9 - 11.
1 | endlich (sein) | s’épuiser |
2 | in den Kinderschuhen stecken | ne se trouver qu’au début |
3 | speichern | sauvegarder |
4 | es gilt | il s’agit |
5 | Umrüsten (n.) | passer aux (aux énergies renouvelables) |
6 | drahtlos | sans fil |